Christian Walter ist Geschäftsführer und Redaktionsleiter von swiss made software. Bis Ende 2010 arbeitete er als Fachjournalist für das ICT-Magazin Netzwoche, publizierte zuletzt aber auch im Swiss IT Magazin, der Computerworld sowie inside-it.
Der Schweizer IT-Sektor ist in den letzten Jahren stark gewachsen – dabei machten Organisationsformen wie Holokratie von sich reden. Die IT-Genossenschaft Coalist geht jedoch zurück zu den Schweizer Wurzeln.
2015 sah sich Diego Adolf mit einem Dilemma konfrontiert: Er hatte die Welt der grossen Bodyleaser verlassen, da für ihn die Differenz zwischen seiner Bezahlung und der Verrechnung seiner Zeit in keinem Verhältnis mehr stand. Eigentlich genoss er die neue Freiheit, befand sich aber bei bestimmten Aufträgen nicht im Kreis der akzeptablen Anbieter. «Viele Firmen wollen keine kleinen Partner», erinnert er sich.
Wie also Selbständigkeit und Ansprüche der Einkäufer unter einen Hut bringen? Zum Glück war er nicht der einzige Kleinanbieter mit diesem Problem. Zusammen mit Roman Spycher und Gion Kunz begann so die Suche nach einer Lösung, um schliesslich bei der ureigensten Schweizer Organisationsform zu landen – der Genossenschaft.
«Wir wollten eine demokratische Struktur, bei der jede Stimme gleichwertig ist, unabhängig der Anteile», so Roman Spycher. Ausserdem stand nicht die Gewinnorientierung im Zentrum. «Bei einer AG steht der Profit der Aktionäre im Vordergrund. Wir wollten vor allem unsere Mitglieder stärken», erklärt er weiter. Natürlich will man auch bei der IT-Genossenschaft Coalist Geld verdienen. Es geht aber nicht darum, kreativ Dividenden abzuzweigen, während die Personen, die die Arbeit machen, kurzgehalten werden.
Keine Kommunisten oder Anarchisten
Zunächst waren die Gründer zögerlich, ob die Organisationsform bei den Kunden positiv aufgenommen werden würde. «Wir befürchteten, als Kommunisten oder Anarchisten abgestempelt zu werden. Die Einkaufabteilungen waren aber sehr offen – wohl auch weil es dort einige Einkaufsgenossenschaften gibt», so Diego Adolf mit einem Schmunzeln.
Gegründet wurde Coalist 2020 und ist mittlerweile auf 48 Personen angewachsen. «Wir haben für uns das Ziel 100 Mitglieder gesetzt. Dann schauen wir weiter», so Gion Kunz. Dabei ist vieles learing by doing – denn, gerade für die Schweiz überraschend, Coalist scheint die erste IT-Genossenschaft zu sein. Somit gibt es wenig Erfahrungswerte. Das bisherige Resümee ist allerdings positiv. Denn neben der Selbständigkeit und fairen Bezahlung konnten weitere Probleme gelöst werden. «Bei Kleinstfirmen besteht immer die Gefahr, zu vereinsamen oder es fehlt der professionelle Austausch mit kompetenten Kollegen», weiss Roman Spycher. Bei Coalist gibt es nicht nur interne Kommunikationskanäle, sondern auch regelmässige Treffen. Dabei geht es nicht nur um den sozialen Aspekt und die Weiterentwicklung der Organisation, sondern auch um die Aufnahme neuer Genossenschafter.
Es gilt das Konsentprinzip
«Wir sind sehr offen. Das Wichtigste ist aber, dass es auf menschlicher Ebene passt», erklärt Gion Kunz. So kamen die meisten Mitglieder bisher auf Empfehlung – «wir nennen das Sponsor». Die Person kann sich dann bei einem Intro-Meeting vorstellen, wo auch die Grundsätze der Genossenschaft sowie deren Philosophie erklärt werden. Darauf folgt ein sozialer Teil, um sich kennenzulernen. In der folgenden Woche tauschen sich die Genossenschafter intern aus. Die Aufnahmeentscheidung erfolgt nach dem Konsentprinzip: Alle haben ein Mitspracherecht. «Solange keine Gegenstimme auftaucht, kann die Person dann beitreten».
Im Kern steht für die Coalist-Genossenschafter die Freude am Programmieren. «Wir wollen unsere Arbeit gut machen und uns dabei gegenseitig unterstützen». Deswegen arbeiten die Genossenschafter nicht ausschliesslich für Coalist. Alle sind frei, eigene Aufträge anzunehmen. Stösst man aber auf einen Auftrag, den man allein nicht stemmen kann oder will, wird ein Team via die Genossenschaft gebildet. Der Kunde schliesst den Vertrag dann mit Coalist. Die Genossenschaft übernimmt dann auch den administrativen Teil. Ein weiterer Vorteil dabei ist, dass eine grosse Diversität an Skillsets zur Verfügung steht. «Kommt so eine Anfrage, stellen wir sie auf den internen Slack-Kanal. Wer interessiert ist, hält die Hand hoch. Das funktioniert bisher sehr gut», erklärt Diego Adolf.
Solidarität und politisches Engagement
Dieses Arrangement hat auch den Vorteil, dass es ein Sicherheitsnetz gibt. Fällt zum Beispiel jemand aus gesundheitlichen Gründen aus, kann die Genossenschaft einspringen.
Auch finanziell ist man so flexibel. Es gibt keine fixen Löhne. Die Genossenschaft gibt ein Angebot ab und behält einen kleinen Prozentsatz für sich. Der Rest geht an die am Projekt beteiligten Genossenschafter. Was nicht erlaubt ist, ist Angestellte aus einer der angeschlossenen Kleinfirmen möglichst billig auf Projekte zu bringen. «Das ist ein No-Go.»
Spannend dürfte es mit dem weiteren Wachstum werden – denn wie die Genossenschaft im IT-Umfeld skaliert, gilt es noch herauszufinden. Bisher scheint das Experiment ein Erfolg zu sein. «Neben den bereits angesprochenen Werten wie Demokratie und Solidarität ist es auch ein einfaches Modell. Unsere Statuten passen auf wenige Seiten», erklärt Diego Adolf. Damit bleibt auch mehr Raum für das Leben ausserhalb des Berufs. «Die Genossenschaft ermöglicht auch Platz für politisches Engagement, für Hobbies und die Familie.» Kein Wunder passt die Genossenschaft so gut zum Land der direkten Demokratie.
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