Android im Herzen der Autos

Montag 05.05.2014 Christian Walter
Christian Walter

Christian Walter ist Geschäftsführer und Redaktionsleiter von swiss made software. Bis Ende 2010 arbeitete er als Fachjournalist für das ICT-Magazin Netzwoche, publizierte zuletzt aber auch im Swiss IT Magazin, der Computerworld sowie inside-it.

Nachdem Noser Engineering die Core-Libraries für Android entwickelt hat, trägt das Unternehmen Android jetzt in die Automobilindustrie. Mit Mercedes AMG und Rinspeed wurden richtungsweisende Projekte umgesetzt.

Das Konzeptauto Micromax: eine Smartphone-App mit Rädern. (Quelle Noser Engineering)

Längst haben sich Autos in fahrende Computer verwandelt. Doch wirklich bewusst wird das dem Fahrer selten. Nach wie vor ist das Auto weitgehend vom Netz isoliert und auch das Cockpit sieht an vielen Orten noch gleich aus – ganz im Gegensatz zum Innenleben. Jetzt bahnen sich jedoch Veränderungen an, die nicht mehr zu übersehen sind: Schon vor zwei Jahren portierte Noser Engineering erstmals Android als integralen Bestandteil in ein Fahrzeug. Für Mercedes AMG wurde das weltweit erste produktionsreife androidbasierte Automobil-Infotainmentsystem entwickelt. 2013 erfolgte der zweite Schritt. Für Rinspeeds Konzeptauto Micromax entwickelte Noser Engineering ein Armaturenbrett auf Androidbasis, das am letzten Automobilsalon in Genf vorgestellt wurde.

Der Micromax wird dabei gern als Smartphone-App mit Rädern bezeichnet. Eigentlich ist er aber ein Nahverkehrsfahrzeug, das clever öffentlichen und individuellen Verkehr vereinigt. So kann es als Microbus dienen, Fahrgemeinschaften auf regelmässigen Routen befördern oder auch Gelegenheitspassagiere von A nach B mitnehmen. Koordiniert wird die Nutzung via App und Smartphone.

Touch-Armaturen mit Android

Handytechnologie dient hierbei aber nicht nur dazu, eine passende Mitfahrgelegenheit zu finden, sondern ist integraler Bestandteil des Fahrzeugs selbst. Das Armaturenbrett besteht aus klassischen Rundinstrumenten, die um ein intelligentes Android-Display in der Mitte ergänzt wurden. Die Hardware kam von Continental Automotive Switzerland, während Noser Engineering die Software entwickelte. Das Touch-Display bietet dem Fahrer Mehrwert durch spezifisch angepasste Anzeigen und zeigt zahlreiche Daten des Fahrzeugs, aber auch aus dem Internet situationsspezifisch an. Die Definition des Projektes erfolgte im November 2012, im Februar 2013 wurde das funktionierende Resultat bereits am Automobilsalon in Genf gezeigt.

Noser konnte hier von zwei zentralen Faktoren profitieren: Erstens war man massgeblich an der Entwicklung von Android selbst beteiligt. Im Auftrag von Google hatte Noser Engineering Androids zentrale Core-Libraries entwickelt. Und zweitens verfügte Noser bereits über Erfahrung mit Android im Automobil. Wie eingangs erwähnt entwickelte stammt das weltweit erste produktionsreife und androidbasierte Automobil-Infotainmentsystem für Mercedes AMG von Noser Engineering.

APM – so der Name des AMG-Systems – zeigt Fahrer und Passagieren Multimedia-, Internet- und Telematikdaten an. Besonderes Augenmerk wurde ausserdem auf die Racing-Funktion gelegt. Wer gern mal eine Runde auf einer Rennstrecke dreht, kann damit Runden- und Sektorzeiten messen sowie Fahrzeugdaten wie Seiten- und Längsbeschleunigung, aber auch die Stellung von Gas- und Bremspedal für die spätere Auswertung aufzeichnen. Die Analyse erlaubt die präzise Korrelation von Daten wie Lenkwinkel oder Bremsdruck mit der Position des Fahrzeugs auf der Rennstrecke. Es können sogar eigene Rennstrecken aufgezeichnet werden. APM ging als Produkt an den Markt und Android wurde von Noser Engineering vollständig auf AMG-Hardware portiert und optimiert. Die Benutzeroberfläche ist komplett überarbeitet, so dass das Produkt nicht mehr an Android erinnert, sondern ein echtes AMG-Feeling bietet.

Das Armaturenbrett besteht aus klassischen Rundinstrumenten, die um ein intelligentes Android-Display in der Mitte ergänzt wurden. (Quelle Noser Engineering)

Wegfallende Lizenzkosten

Dies im Gegensatz zum Micromax, der seine Android-Wurzeln deutlich zeigt. Dahinter steckt durchaus Absicht, denn für Noser Engineering ist die Plattform das eigentliche Killer-Feature. Und hier ist es nur vernünftig, noch etwas Aufmerksamkeit zu produzieren. Android hat mittlerweile einen etablierten Millionenmarkt und ist den Menschen auch optisch vertraut. Hinzu kommt, dass es das einzige der aktuellen mobilen Betriebssysteme ist, das für die Autoindustrie entscheidende Charakteristika aufweist.

So ist der Automobilbau dominiert von grossen Stückzahlen sowie hohen Qualitätsanforderungen und damit vom Interesse an tiefen oder wegfallenden Lizenzkosten. Für Android spricht, dass es Open Source ist. Automobilhersteller sind stark an uneingeschränkten Anpassungsmöglichkeiten interessiert. Das fängt an beim Anschluss von Sensoren und Aktuatoren oder der Gestaltung eigener UIs. Android lässt sich also leicht dem eigenen Brand anpassen. Darüber hinaus sind Updates nach Ermessen und Bedürfnissen möglich. Zudem hat das Betriebssystem mittlerweile die Reife, um in der von Sicherheitsdenken geprägten Autoindustrie für Vertrauen zu sorgen.

Android bringt ausserdem den Vorteil mit, dass man selbst nach der Produktion dem Auto neue Features hinzufügen kann – via Update. So liesse sich auch einmal schnell auf die Konkurrenz reagieren, beziehungsweise man kann gewisse Entwicklungen sogar Dritten überlassen. Eine Analogie lässt sich schnell zur Tuning-Community ziehen: Hier haben Enthusiasten schon immer ihre Autos weiterentwickelt, allerdings nur im kleinen Kreis. Kann man aber Modifikationen am Auto via App vornehmen, erweitert sich dieser dramatisch. Deshalb ist es auch praktisch, dass sich sicherheitsrelevante Bereiche kapseln lassen.

Zukunftsmusik

Angedacht hat man gewisse Dinge auch schon bei Noser Engineering. So sieht man dort den nächsten Evolutionsschritt in der wirklichen Vernetzung von Auto, Fahrer und Cloud über das Smartphone. So kann das Auto zum aktiven Helfer des Fahrers werden, zum Beispiel um Termine einzuhalten. Verknüpft mit dem Terminkalender kann das Auto eine Route zum Ziel planen und dabei den Benzinstand sowie die aktuelle Strassensituation berücksichtigen. Kommt es zu einer Verspätung, könnte es die entsprechenden Kontakte automatisch informieren. «Ganz so weit sind wir diesmal nicht gegangen. Aber solche Konzepte liegen durchaus in der Schublade», so Daniel Brüngger, Leiter Automotive bei Noser.

In welche Richtung es geht, ist zurzeit noch unklar. Aber das Echo in Genf war gross, und mit zwei laufenden Implementationen ist der Beweis erbracht, dass Android eine Zukunft im Automobilsektor haben kann.