Fintech, Schmintech

Dienstag 15.03.2016 Christian Walter
Christian Walter

Christian Walter ist Geschäftsführer und Redaktionsleiter von swiss made software. Bis Ende 2010 arbeitete er als Fachjournalist für das ICT-Magazin Netzwoche, publizierte zuletzt aber auch im Swiss IT Magazin, der Computerworld sowie inside-it.

Der Fintech-Boom kommt in die Schweiz - zu spät für manche. Aber wäre schneller realistisch gewesen? Die Struktur des Finanzplatzes Schweiz schränkt die Chancen bestimmter Technologien ein und verlangt teils andere Lösungen als in den USA oder Grossbritannien.

Die Schweizer Idylle lädt zum Entspannen ein - aber das ist gefährlich, sowohl für den Finanzsektor wie sein ambitiöses Kind, Fintech. (© JFL Photography/Fotolia)

Voller Neid blickt die hiesige Fintech-Szene nach London, New York und Singapur. Während diese Stätten von hohen Investitionen und kooperationsbereiten Regulatoren profitieren, bleibt die Schweiz zurück. Dies obwohl die wirtschaftliche Relevanz des Finanzsektors hierzulande grösser ist als an jedem anderen Ort auf der Welt, mit Ausnahme des Vereinigten Königreichs. 10,4 Prozent betrug der Anteil am BIP 2014. Zum Vergleich: In den USA waren es 7,2 Prozent, 12 Prozent (2015) im Vereinigten Königreich und vier in Deutschland.

Somit sollte es im Bankenland Schweiz eigentlich ein reges Interesse am aktuellen Fintech-Boom/Hype geben. Und es ist in der Tat ein Boom: Zwar fehlen für 2015 noch abschliessende Zahlen, doch verdreifachten sich die Investitionen in Fintech-Start-ups 2014 von vier auf zwölf Milliarden, wie Accenture berichtet. Neueste Zahlen für den asiatischen Raum belegen die Fortsetzung des Trends zumindest für diese Region. Allein in den ersten neun Monaten 2015 wuchsen die Investitionen laut Accenture von 880 Millionen auf 3,5 Milliarden Dollar.

Globale Investitionen

Es ist noch unklar, ob Europa so ins Hintertreffen gerät. 2014 wurden noch etwa 1,5 Milliarden Dollar investiert – der Grossteil davon im Vereinigten Königreich (623 Millionen), Skandinavien (345 Millionen), Niederlande (306 Millionen) und Deutschland (82 Millionen).

In der Schweiz sucht man dergleichen vergebens. Trotzdem hat sich in den letzten Jahren eine heimische Fintech-Szene gebildet, und gerade 2015 sind sichtbare Fortschritte gemacht worden. Deutlich zeigt sich das beim vielkritisierten Regulator, der FINMA. 2016 soll die Online-Identifikation möglich werden. So können Privatpersonen schliesslich auch online ein Konto eröffnen. Ebenfalls auf der Agenda steht eine Banking Lizenz Light, welche tiefere Anforderungen stellt als zurzeit vom Bankengesetz festgelegt. Diese neue Bewilligungskategorie wird aber an zwei Bedingungen geknüpft sein: Erstens muss es sich um kleinere Volumina handeln. Zweitens darf das Institut keine Fristentransformation durchführen, das heisst, es darf mit kurzfristigen Einlagen keine langfristigen Kredite vergeben. Schliesslich soll es eine «Regulatory Sandbox» geben - ein Rahmen also, in dem neue Geschäftsmodelle bewilligungsfrei ausprobiert werden können.

Die Wunschliste der Fintech-Branche ist damit zwar noch nicht erfüllt, aber es sind wichtige Schritte, um der Schweiz die nötigen Rahmenbedingungen für den internationalen Wettbewerb zu geben. Diese Entwicklungen sind mitunter das Ergebnis eines relativ neuen und anhaltenden Dialogs, der von der besseren Organisation der Branche profitiert. Mit Swiss Fintech, Swiss Finance Start-ups, der Swiss Crowdfunding Association oder der Swiss Startup Association gibt es jetzt gleich mehrere relativ junge Verbände, welche sich um die Interessen der Branche kümmern.

Dass es vorangeht, sieht man auch an anderer Stelle: So wurden allein in den letzten vier Jahren 85 Fintech-Startups gegründe wie aus einer Recherche der Swiss FinteCH Associaiton hervorgeht. Weiterhin gibt es mittlerweile zahlreiche Inkubatoren und Akzeleratoren.

Strukturfragen

Somit scheint sich die Schweizer Fintech-Branche auf dem richtigen Weg zu befinden, wenn auch zweifellos noch einiges zu tun ist. Dabei muss aber auch klar sein, dass man Äpfel nicht mit Birnen vergleichen kann. Denn der augenscheinliche Rückstand der Schweiz hat auch strukturelle Gründe, die sich kaum ändern lassen.

Zum Beispiel die Zusammensetzung des Schweizer Finanzsektors: 46 Prozent der Bruttowertschöpfung kommen von den Banken, 40 Prozent von Versicherungen und 14 Prozent von «Sonstigen». Die Banken teilen sich wiederum auf in Private Banking (21 Prozent), Retail Banking (19 Prozent), Asset Management (3 Prozent) und Investmentbanking (3 Prozent). Damit ist der Schweizer Finanzsektor im internationalen Vergleich gut diversifiziert, wie die BAK Basel Economics schreibt.

Nun sollten Fintech-Investitionen in Bereichen erfolgen, die das grösste Potenzial haben. Da ein Grossteil der Fintech-Investitionen nach wie vor in den USA erfolgt, dient das Land als aussagekräftige Benchmark.

In den USA erfolgte gemäss Accenture das Gros der Fintech-Investitionen in den Bereichen Lending (54 Prozent) und Payments (25 Prozent). 80 Prozent der Investitionen oder etwa 7,9 Milliarden gehen damit in Bereiche, welche sich im Wesentlichen mit dem Retailbanking assoziieren lassen. Viele der hier angesiedelten heissen Start-ups zielen auf das Massengeschäft. Das lässt sich in der Schweiz nur schwer duplizieren, denn der Markt ist zu klein für Skaleneffekte. Wer herausfordernde Ideen hat, wird diese am grösstmöglichen Kundenkreis austesten wollen. Und trotz Internet und Globalisierung ist mittlerweile klar, dass sich Märkte auch heute ohne Lokalpräsenz kaum erschliessen lassen. Es ist kein Zufall, dass es in der IT-Branche praktisch kein international erfolgreiches Schweizer B2C-Unternehmen gibt. Die Facebooks und Ali Babas dieser Welt brauchten einen grossen Markt, um sich zu entwickeln.

Wer spürt den Druck?

Klein dagegen sind die Investitionen für Wealth Management mit vier Prozent. Noch scheinen wenig Ideen die Fantasie der Investoren anzuregen. Das mag daran liegen, dass Private Banking kein Massengeschäft ist. Zu investieren scheinen zurzeit vor allem die Banken selbst. Glaubt man einer Untersuchung der Branchenplattform Asian Private Banker, investiert rund die Hälfte der im asiatischen Raum befragten Banken jährlich zwischen 50 und 60 Millionen Dollar – das Meiste geht dabei in die Integration und nicht in die Entwicklung. Manoj Bhojwani, IT-Chef Wealth Management der Credit Suisse Asien-Pazifik, beziffert den Anteil gar mit bis zu 60 Prozent. Und auch die viel diskutierten Robo Advisors wie Wealth Front oder Betterment sind eher dem Massgengeschäft zuzuordnen, und die Form, mit der sie ins Private Banking Einzug findet, wird eine andere sein als diejenige für die breite Masse.

Schliesslich bleibt das Versicherungsgeschäft: Auch hier sind die US-Investitionen verschwindend klein – etwa ein Prozent. Gemäss Venture Scanner kommt gerade erst Bewegung in den Sektor – über 50 Prozent der 535 getrackten Start-ups wurden in den letzten vier Jahren gegründet. Verwundern sollte das nicht - die Versicherungsbranche reagiert eher noch langsamer als die Banken und befindet sich momentan weniger unter Druck. Die eigentliche Entwicklung steht hier erst noch bevor, mutmasst Tech Crunch.

Das Bankenland Schweiz ist somit weder Fisch noch Vogel. Viele Elemente des Fintech-Booms können im kleinen Schweizer Markt nicht spielen, verweigern sich der dominanten Massentechnologie oder sind auch auf internationaler Ebene gar nicht in Fahrt gekommen. Das ist aber keine Entschuldigung für die Gemütlichkeit, die bis vor Kurzem hierzulande vorherrschte. Der über lange Zeit aufgebaute Status ist sonst leicht verspielt.

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