Christian Walter ist Geschäftsführer und Redaktionsleiter von swiss made software. Bis Ende 2010 arbeitete er als Fachjournalist für das ICT-Magazin Netzwoche, publizierte zuletzt aber auch im Swiss IT Magazin, der Computerworld sowie inside-it.
Gerade bewilligte der Bundesrat Pilotversuche zur kontrollierten Abgabe von nicht-medizinischem Cannabis. Eine Chance auch für das Compliance-Start-up Vigia.
Die global voranschreitende Legalisierung des ehemals verteufelten Cannabis hat auch in der Schweiz einen neuen Meilenstein passiert. Ab dem 15. Mai 2021 können beim Bundesamt für Gesundheit Gesuche für die Durchführung von Pilotversuchen mit nicht-medizinischem Cannabis eingereicht werden. Fünf Jahre lang darf jetzt auf allen Ebenen getestet werden, wie eine heimische Cannabis-Industrie aussehen könnte – und zwar vom Anbau über die Verarbeitung bis zum Verkauf und Konsum.
«Der Schweizer Ansatz ist im internationalen Vergleich sehr vorausschauend und hat hohes Potenzial, eine ganze Branche in die Legalität zu führen», meint Luc Richner, Mitgründer und CEO des Unternehmens Vigia. Kein Wunder also, dass er sein Compliance-Start-up im Cannabis-Umfeld hier in der Schweiz angesiedelt hat. Cannavigia, so der Name, ist eine Lösung, mit der sich jeder Arbeitsschritt vom Aussäen der Samen bis zum Verkauf an den Konsumenten tracken lässt, und zwar für jede individuelle Pflanze.
Schweizer Cannabis-Industrie
Die Idee kam Richner 2019, als er noch in Bali lebte. «Global war der Umschwung in der Hanf-Industrie nicht mehr zu übersehen. Es fehlte aber noch ein vereinheitlichter Compliance-Standard für Anbau und Produktion.» Deswegen beschlossen Richner und seine Mitgründer, nach umfassenden Recherchen eine Lösung zu entwickeln, die gleich mehrere Standards abbildet und so die verschiedenen Aspekte eines komplexen Produkts unter einen Hut bringt. Konkret sind das GlobalGAP (Good Agricultural Practice) und GMP (Good Manufacturing Practice). Der erste würde für Produkte auf CBD-Basis reichen, der zweite ermöglicht den Umgang mit den kommenden THC-Produkten. «Der Trick war, die richtigen Standards zu wählen und dann auf die Prozesse in der Produktion abzubilden.»
Ende 2019 begann man mit der Arbeit an Cannavigia. Im März 2020 stand ein erster Prototyp bereit. Die Software as a Service besteht aus vier Modulen: Anbau, Verarbeitung, Distribution und Customer Engagement. Diese wurden jeweils in enger Zusammenarbeit mit heimischen Herstellern entwickelt. «Davon gibt es mehr als man denkt, und sie sind im Wesentlichen in der IG-Hanf, dem Verband der Schweizer Hanfbranche, organisiert.»
Jede Pflanze tracken
Somit soll die Lösung die Anforderungen jedes Stakeholders in der Supply Chain abdecken. Das zeigt sich auch daran, dass Cannavigia zusätzlich zu den oben erwähnten Standards bereits das Label SCC (Swiss Certified Cannabis) abdeckt, den ersten hiesigen Standard, der gerade von der IG-Hanf lanciert wurde.
Cannavigias zentraler Fokus liegt auf der Erfassung jedes einzelnen Arbeitsschritts. «Das System speichert jede Bewegung und jede Veränderung am Produkt in einer Schweizer Cloud», erklärt Richner. Damit deckt Cannavigia nicht nur die Anforderungen an ein streng reguliertes Produkt, sondern bietet gleichzeitig viele Optionen für modernes Marketing. «Da ich weiss, welche Pflanze für welches Fläschchen Öl verarbeitet wurde, erfülle ich nicht nur gesetzliche Auflagen, ich kann diese Information dem Kunden genauso zur Verfügung stellen wie dem Regulator.»
Der Kunde kann so mit einer Mischung aus statischen und dynamischen Informationen versorgt werden. Statisch sind zum Beispiel Angaben über die Pflanzenart, Produktname oder Firma. Spannend wird es allerdings bei den dynamischen: Hier kann detailliert gezeigt werden, in was für einer Erde eine Pflanze wuchs, wie die Sonneneinstrahlung war, ob sie drinnen oder draussen stand, wie der CO2-Wert war und, und, und. «Das ist wie beim Wein, denn Naturprodukte sind nie gleich», erklärt Richner. Dazu gehören natürlich auch CBD- und THC-Werte sowie andere aktive Substanzen. «Hier gibt es eine enorme Bandbreite.»
Um das Vertrauen in die Lösung zu steigern, werden die erfassten Arbeitsschritte mit einem Zeitstempel versehen und in zwei Blockchains gespeichert. Somit soll sichergestellt werden, dass die Daten nicht im Nachhinein manipuliert werden können.
Schweizer Weg hat mehr Optionen
Dieser Fokus aufs Detail kommt nicht nur durch die Anforderungen des Regulators. Für Richner geht es klar darum, eine bis dato etwas anrüchige Branche auf dem Weg in eine saubere Industrie zu begleiten. «Ich sage das allen unseren Partnern – wir haben eine einmalige Chance, von Anfang an Vertrauen aufzubauen.»
Und die Schweiz hat sich dafür gut positioniert: Im Vergleich zu Europa, wo nur Pflanzen mit einem THC-Gehalt bis zu 0,3 Prozent angebaut werden dürfen, hat die Schweiz die Grenze bei 1 Prozent THC gezogen. «So können wir eine viel grössere Menge unterschiedlicher Varianten anbauen und gleich Erfahrung in Anbau und Produktion sammeln.»
Zurzeit besteht das Vigia-Team aus sechs Personen und ist noch vollständig selbstfinanziert. Über mögliche Investoren will man erst Ende des Jahres nachdenken. Die ersten zahlenden Kunden sind auch bereits an Bord. Dem kommenden Start des offiziellen Schweizer Pilotversuchs steht Richner mit freudiger Aufregung gegenüber. «Wir sind gut positioniert – zu den Auflagen gehört nämlich auch ein Track & Trace. Mit Fokus auf Cannabis bieten das zurzeit nur wir in der Schweiz.»
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