Christian Walter ist Geschäftsführer und Redaktionsleiter von swiss made software. Bis Ende 2010 arbeitete er als Fachjournalist für das ICT-Magazin Netzwoche, publizierte zuletzt aber auch im Swiss IT Magazin, der Computerworld sowie inside-it.
Das Start-up Denkkraft will die Arbeit von Architekten und Bauleitern vereinfachen und hat das Baujournal digitalisiert.
Zu jedem Bauvorhaben gehört ein Baujournal. Hier hält der Bauleiter alle wesentlichen Details fest, die mit dem Projekt zu tun haben: Welcher Gewerbetreibende welchen Auftrag erhält, wo es Änderungen vom ursprünglichen Plan gibt, er dokumentiert Fehler, erfasst Materialbestellungen sowie das tägliche Wetter. Das Baujournal dient nicht nur zum Managen des Baus, sondern ist gesetzlich vorgeschrieben als Quelle für Versicherungsfälle. «Bei Schadensfällen wird sofort nach dem Baujournal verlangt», erklärt Marc Vontobel vom Architekturbüro A. Somogyi in Romanshorn.
Vielerorts heisst das heute noch, mit Zetteln auf der Baustelle arbeiten, Fotos mit dem Handy machen und anschliessend alles im Büro digitalisieren und ordnen. Architekt und Bauleiter Marc Vontobel war die Zettelwirtschaft Leid. Schon vor Jahren erkannte er das Potenzial der ersten Tablets. Doch die Technik war noch nicht ausgereift. 2019 war es dann soweit, nach zahlreichen Brainstormings mit seiner Frau Nicole kam das Ehepaar zu dem Schluss, die Zeit sei reif. «Wir sahen das Potenzial einer Tablet-First-Lösung, die für die Eingabe auf handschriftliche Notizen via Stift oder Finger setzt», erinnert sich Nicole Vontobel.
Handschrift in Text umwandeln
Zusammen mit der Digitalagentur Chili wurde ein erster Prototyp des digitalen Baujournals Juurly entwickelt. Zentral war von Anfang an die automatische Erkennung der Handschrift und deren Umwandlung in Text. So kann der Bauleiter mobil und ohne weitere Hilfsmittel die Lage auf der Baustelle dokumentieren. Die Doppelspurigkeit bei der Nachbearbeitung im Büro entfällt. Gleichzeitig liefert die Lösung ein Schema mit, das sich am Baukostenplan (BKP) orientiert. Dieser gliedert die Kosten beim Hausbau nach Aufwandgruppen. Er macht sie vergleichbar und hilft der Bauherrschaft bei der Kostenkontrolle.
Praktisch sieht das so aus: Der Bauleiter importiert seine Kontakte und eröffnet ein Projekt. Für die einzelnen Abschnitte kann er dann per Klick die Zuständigkeiten verteilen. Während der Bau voranschreitet, dokumentiert er mit Kamera, Audioaufnahme oder auch Speech-to-Text die Entwicklungen. Juurly ergänzt diese Informationen jeweils automatisch um das Wetter. «Das ist sehr wichtig für die Nachvollziehbarkeit. Ein Gipser sollte zum Beispiel nicht bei Minusgraden arbeiten. Gibt es trotzdem einen Schaden, kann man so gegenüber der Versicherung nachweisen, dass das Wetter gut war», so Vontobel.
Die über Juurly vergebenen Aufgaben gehen per Mail an die einzelnen Dienstleister. Für Rückmeldungen steht ein Link zur Verfügung. So können die Dienstleister Feedback geben oder auch den Vollzug melden. «Für uns war es wichtig, dass die Dienstleister nicht gezwungen sind, unsere Lösung zu kaufen», erklärt Vontobel. «Auch wenn es mittlerweile einige Betriebe gibt, die Juurly selbst verwenden».
Aufgaben direkt verschicken
Ende 2019 begann die Entwicklung. Ein MVP (Minimum Viable Product) – also eine erste minimal funktionsfähige Iteration der Lösung – stand ab August 2020 bereit. Dieses wurde dann in Kooperation mit einigen anderen Architekturbüros weiterentwickelt. Die Vontobels konnten somit nicht nur von der eigenen Tätigkeit profitieren, sondern gleich noch über den Tellerrand schauen. «Das war sehr wichtig. Eines der ersten Features, das gefordert wurde, war der PDF-Export», erinnert sich Nicole Vontobel. «Wir waren bereits voll digital und wurden dann daran erinnert, dass Papier nach wie vor wichtig ist».
Alle Einträge ins Juurly-Journal können mit Tags und BKP-Positionen versehen werden. So sind sie schnell wieder auffindbar. Die geschossenen Fotos lassen sich ausserdem mit einem Marker bearbeiten. «So kann ich leicht zeigen, dass die Steckdose weiter nach links muss und das Foto gleich an den Elektriker schicken». Juurly ist eine Progressive Web App und muss nicht installiert werden. Das hat den Vorteil, dass sie nicht nur auf dem Tablet läuft, sondern auch auf dem Desktop im Büro.
Da die Vontobels die Finanzierung nicht allein stemmen konnten, gingen sie eine Kooperation mit ihrer Digitalagentur ein. Ende Januar 2021 erfolgte der Markteintritt. Jetzt konzentrieren sie sich auf die Kundenakquisition. Da Marc Vontobel die Lösung in seinem Hauptberuf täglich verwendet, ist er sich sicher, dass alle Funktionen für das tägliche effiziente Arbeiten vorhanden sind. «Das heisst auch, dass es uns auch als kleines Unternehmen noch lange geben wird. Die wesentlichen Investitionen sind getätigt. Wir konzentrieren uns jetzt auf Weiterentwicklung und Kundenakquisition».
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