Urs Binder ist freischaffender Journalist mit einem Fokus auf ICT.
Eine benutzerfreundliche Webapplikation zur geografischen Analyse von Unfällen und Unfallschwerpunkten unterstützt Bund und Kantone beim Vollzug des Verkehrssicherheitspakets Via sicura.
Im Jahr 2013 ereigneten sich auf Schweizer Strassen 17'473 polizeilich gemeldete Unfälle mit Personenschaden. Dabei kamen 269 Personen ums Leben, 4129 wurden schwer und 17'250 leicht verletzt. Nimmt man Unfälle mit blossem Sachschaden hinzu, lag die Gesamtzahl bei über 50'000.
Mit dem klaren Ziel, die Zahl der Verletzten und Todesopfer zu reduzieren, hat das Parlament im Juni 2012 das Verkehrssicherheitspaket «Via sicura» angenommen. Das Bundesamt für Strassen (ASTRA) hat im Rahmen der Vollzugsunterstützung zum Art. 6a SVG die «Infrastruktur-Sicherheitsinstrumente» (ISSI) entwickelt, welche von den zuständigen Stellen in den verschiedenen Phasen von der Planung bis zum Betrieb der National-, Kantons- und Gemeindestrassen zur Optimierung der Sicherheit eingesetzt werden können. Die konkrete Anwendung der einzelnen ISSI wird in Normen des Schweizerischen Verbands der Strassen- und Verkehrsfachleute
(VSS) vertieft erläutert.
"Die ganze Schweiz in einer halben Stunde."
Ein zentrales Instrument für die Unfallanalyse ist die Fachapplikation VUGIS, die unter anderem von Elca realisiert wurde – die Abkürzung steht für «Verkehrsunfallanalyse mit Geoinformationssystemen». Bei einem Unfall hält die Polizei alle relevanten Angaben in einem Unfallaufnahmeprotokoll fest. Danach werden diese Daten in das gesamtschweizerische Register übertragen, qualitätsgesichert und georeferenziert. Die Strasseneigentümer – also Bund, Kantone und Gemeinden – müssen im Rahmen des Unfallschwerpunkt-Managements die besonders risikoreichen Stellen identifizieren und entsprechende Massnahmen treffen. Für die Analyse eignet sich eine Kartendarstellung besser als rein tabellarische Darstellungen.
Geografische Unfallanalyse
Mit der Webapplikation VUGIS werden Unfallschwerpunkte in der ganzen Schweiz automatisiert erkannt und rangiert. Die Anzeige der Unfälle auf einer Karte ermöglicht eine übersichtliche Prüfung des Unfallschwerpunkts. VUGIS unterstützt zudem die Umsetzungs- und Wirkungskontrolle durch sogenannte Überwachungszonen. Die Anwendung ist bei rund 150 Nutzern
im ASTRA, den kantonalen Polizeibehörden und Tiefbauämtern sowie bei einigen Städten und Gemeinden im Einsatz.
VUGIS identifiziert und klassifiziert die Unfallschwerpunkte mit einem durch VSS-Experten erarbeiteten, normierten Algorithmus. Die Berechnungsparameter der Unfallschwerpunktsuche sind dabei festgelegt und können vom VUGIS-Anwender nicht geändert werden.
Vor der Einführung von VUGIS mussten die Strasseneigentümer oft mehrere Wochen Arbeit in die Suche von Unfallschwerpunkten investieren. Die neue Lösung benötigt für die Berechnung über die ganze Schweiz eine halbe Stunde, dadurch können die knappen Budgets für die vertiefte Analyse und für Massnahmen genutzt werden.
Komplexe Abfragen einfach erstellt
Während die Definition der Unfallschwerpunkte strikt geregelt ist, kann die Unfalldatenbank mit der VUGIS-Webapplikation sehr flexibel nach räumlichen Kriterien und verschiedensten Attributen durchsucht werden. Dies sind etwa Unfallschwere, Infrastrukturattribute oder Altersstufe der betroffenen Verkehrsteilnehmer. Die Nutzer erstellen dabei über ein Abfragemodul ohne
SQL-Kenntnisse komplexe Abfragen und ermitteln so zum Beispiel alle Unfälle, die sich in einem bestimmten Zeitraum im Umkreis von 300 Metern um eine Primarschule mit einer Unfallbeteiligung von Kindern ereignet haben. Einmal definiert, können solche Suchkriterien für künftige Auswertungen gespeichert werden.
"Für komplexe Abfragen braucht es keine SQL-Kenntnisse."
Die gefundenen Unfälle zeigt die Webapplikation auf einer Karte je nach Art des Unfalls mit Symbolen in unterschiedlichen Farben und Formen an. Mit einem Klick auf einen bestimmten Unfall erscheinen alle Informationen, die dazu in der Unfalldatenbank vorhanden sind. Die Unfalldaten werden täglich aus dem Data Warehouse in das VUGIS-System übertragen. In der Karte lassen sich weitere eidgenössische und kantonale Kartenebenen einblenden, zum Beispiel Points of Interest, die Verkehrsstärke oder Gemeindegrenzen. Bei der Entwicklung der Applikation wurde besonders auf die Leistungsfähigkeit der Kartendarstellung in Kombination mit Filtern geachtet. Das Ziel war es, die Ergebnisse möglichst ohne Wartezeit anzuzeigen, um eine hohe Nutzerakzeptanz zu erreichen. Für die Dokumentation bietet VUGIS ein ausgereiftes Druckmodul, mit welchem PDF-Karten bis zum Format A0 erzeugt werden können. Direkt aus der Webapplikation lassen sich zudem tabellarische PDF-Berichte erstellen.
Projekt agil umgesetzt
Die aktuelle Version von VUGIS hat Elca mit einer Gruppe von neun Softwareingenieuren und User-Interface-Spezialisten in enger Zusammenarbeit mit dem ASTRA, dessen Fachunterstützung und den kantonalen Expertengruppen entwickelt. Elca erhielt den Zuschlag auf Basis einer WTO-konformen Ausschreibung, bei der neben dem Preis und der agilen Entwicklung die Fachkompetenz eine wichtige Rolle gespielt hat: Die Lösung VUGIS basiert auf vielen unterschiedlichen Technologien, die auf einer tiefen Ebene eng verzahnt werden mussten – neben der GIS-Technologie von ESRI, der Business-Intelligence-Plattform von SAP BusinessObjects, der Microsoft-Umgebung mit ASP.NET und C# sowie der Oracle-Datenbank wurden aktuelle Webtechnologien wie JavaScript, Dojo, HTML5 und CSS3 eingesetzt.
Das Projekt startete im Oktober 2012, seit März 2014 läuft die Applikation produktiv. Bei der Entwicklung setzte Elca auf die agile Methodik Scrum: Die Lösung entstand in insgesamt 25 Etappen – sogenannten Sprints – von jeweils drei Wochen Dauer. Nach jedem Sprint konnte das ASTRA als Produktverantwortlicher die Ergebnisse begutachten und war so aktiv
in den Entscheidungs- und Umsetzungsprozess eingebunden.
Nutzer im Zentrum
Besonderes Augenmerk lag auf der Nutzerakzeptanz. Beim Entwicklungsstart wurden deshalb die Endanwender ins Projekt miteinbezogen. Zuerst mithilfe von Prototypen auf Papier, später mit
erstellten Zwischenlösungen, konnten auch kritische Vertreter von Kantonspolizeien, Tiefbauämtern und des ASTRA die Webapplikation selbst ausprobieren und ihre Verbesserungsvorschläge aktiv einbringen.
Grossen Wert legte das ASTRA auf die Qualitätssicherung. Dazu wurde eine
CI-Umgebung aufgebaut (Continuous Integration), die jede Änderung am
Quellcode prüft, automatische Tests durchführt und eine statistische Aus-
wertung des Quellcodes erstellt. Neben den in Softwareprojekten üblichen Unit Tests umfasste der Testprozess auch automatische Bedienungstests mit Simulation von Benutzeraktionen – so konnte die Anwendung laufend auf verschiedene Nutzungsszenarien hin überprüft und optimiert werden.
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