Leiter des transdisziplinären BFH-Zentrum Digital Society und Vizepräsident der Schweizer Informatik Gesellschaft
Die Schweiz könnte viel vom skandinavischen Verständnis für Public Innovation lernen. Dafür müssten sich die Schweizer Softwarefirmen aber als Innovationspartner verstehen und dementsprechend handeln.
In Skandinavien ist die Einstellung zu Innovationen im öffentlichen Sektor ganz anders als in der Schweiz. Man hält sie für eine wichtige Aufgabe, die zur Umsetzung des gesetzlichen Auftrags gehört und in einem gewissen Ausmass auch proaktiv von den staatlichen Akteuren angestossen werden kann. Der Fokus liegt auf vier Bereichen:
Je nach Land gibt es kleinere Unterschiede bezüglich dieser Innovationskategorien, in der Summe haben alle vier aber einen ähnlichen Innovationsanteil. Dabei gelten auch kleinere Fortschritte als Innovation – beispielsweise eine bessere Softwareunterstützung im Bereich Automatisierung oder Qualitätssteuerung. Anderseits gehören zu Public Innovation auch substanzielle methodische Fortschritte im Kerngeschäft wie zum Beispiel in der medizinischen Diagnose und Therapie. Hier steht ebenfalls oft eine adäquate, innovative IT-Unterstützung im Zentrum. Was sehr imponiert, ist das Zusammenführen von Fachexpertise, Arbeitsorganisationsexpertise und IT-Exzellenz. Man denkt zusammen, man arbeitet zusammen – und man realisiert zusammen Lösungen, die für alle Bereiche Nutzen schaffen und trotzdem den «Kunden» zum Hauptgewinner machen. Dieser Ansatz ist kulturell verwurzelt und gehört zum Selbstverständnis aller Akteure – seien sie staatlich oder privat.
Trumpfkarte Kultur
Der Nutzen einer Kooperation zwischen Verwaltung, Wirtschaft und den Hochschulen wurde in Skandinavien verstanden, und die Ansprüche an die Kooperationsergebnisse sind hoch. Persönlich durfte ich dies im letzten Frühling feststellen: Als Teil eines internationalen und interdisziplinären Teams evaluierte ich Innovationsprojekte für den öffentlichen Sektor im Auftrag des norwegischen Research Council. Dabei stach für mich die hohe Exzellenz-Erwartung an förderungswürdige Projekte heraus. Man schätzt wie gesagt auch die kleine Innovation, fördert aber explizit nur die grossen. Gesucht werden Letztere gezielt in der Zusammenarbeit zwischen staatlichen und privaten Akteuren. Nicht als One-off, sondern als Teil des kulturellen Verständnisses, dass so Ergebnisse geschaffen werden, von denen alle profitieren. Aus analogen Gründen ist beispielsweise die staatliche Wirtschaftsförderung in Norwegen fest etabliert und kann speziell für Jungunternehmer nachhaltige Erfolge vorweisen. Anstatt Staat und Wirtschaft als Gegenkräfte zu betrachten, sucht man im Norden den Fortschritt in der Zusammenarbeit. Das zeigt, dass die Trumpfkarte «Kultur» in Europa nach wie vor sticht.
Die Fakten und ihre Interpretation
Dennoch dominiert kein allein gültiges Rezept: Während in Finnland, Island und Norwegen Public Innovation vor allem in der Zentralverwaltung stattfindet, ist das Innovationsbestreben in Dänemark und Schweden entlang dezentraler Strukturen organisiert. In Dänemark nehmen beispielsweise die etwa fünfzig gemeindeähnlichen Verwaltungseinheiten zentrale Aufgaben wahr und sind sehr innovationsaffin, besonders auch im E-Government. Getrieben wird die Entwicklung durch eine Reihe von Faktoren, die ich unterstützend und zentral gliedern würde: Unterstützend wirken Dinge wie Budgetpolitik, neue Gesetze, der politische Wandel, aber auch die Lösungsanbieter und Geschäfts-«Kunden» der Verwaltung. Zentral sind aber das hauseigene Topmanagement, die Geschäftsleitung sowie die internen Mitarbeitenden. Denn die Verwaltung will selbst die Innovation – das zumindest zeigen die Daten der breit angelegten MEPIN-Pilotstudie (2011).
Kein Wunder, dass Innovationen in allen fünf Ländern Skandinaviens am häufigsten hausintern in der Verwaltung entwickelt werden und nur in gut einem Viertel der Fälle in Zusammenarbeit mit der Wirtschaft. Betrachtet man die Rolle der Kooperationspartner genauer und setzt dabei eine skandinavische Brille auf, so sind nicht nur die Unternehmen als Lösungsanbieter, sondern auch die Bürger als Lösungsnutzer wichtigste Kooperationspartner des öffentlichen Sektors. Eine skandinavische Denkweise, die auch in der Schweiz mehr Beachtung verdienen würde. Es ist nicht nur die Verwaltung, die etwas macht, sondern Wirtschaft und Bürger machen mit und leisten dadurch wertvolle Innovationsbeiträge.
Von den Skandinaviern lernen
Trotzdem ist nicht alles eitel Sonnenschein im hohen Norden: Verglichen mit den Skandinaviern hat die Schweiz vor allem in einem Punkt die Nase vorn – die Standardisierung des E-Government in eCH. Sie wird von der Wirtschaft nicht nur mitgetragen, sondern sogar gegenüber der Verwaltung vermarktet und so weiter verbreitet. Ansonsten aber ist das nordische Verständnis für Public Innovation etwas, wovon sich die Schweiz durchaus eine Scheibe abschneiden könnte.Dem skandinavischem Vorbild folgend sollten wir uns überlegen, wie wir den Nutzen von Innovationen in der Verwaltung ernsthaft bewerten können. Hierfür liefert die amerikanische Public-Value-Theorie gute Ansätze. Sie wurde für IKT-basierte Innovationen zu praxis- tauglichen Analyseinstrumenten weiterentwickelt und kann helfen, mehr Verständnis für die zentrale Rolle von Softwareinnovationen bei der Weiterentwicklung der Verwaltung und des ganzen öffentlichen Sektors aufzuzeigen. Sie unterstützt auch ein breiteres Verständnis sowie eine strengere Bewertung von Innovationen, wie sie in Skandinavien üblich sind. Beides würde dem hiesigen E-Government sehr gut tun, das oft zu eng fokussiert und zu anspruchslos agiert. Last but not least könnte die länderübergreifende Zusammenarbeit in Skandinavien Vorbild sein für mehr Zusammenarbeit im deutschsprachigen Raum.
Das neue Rollenverständnis der Softwareanbieter
Aus Sicht von Software made in Switzerland stellt sich die Frage, wie man von mehr Public Innovation in der Schweiz profitieren könnte. Ich bin der Meinung, indem man sich zuallererst als Mitträger und Förderer von Innovationen im öffentlichen Sektor definiert. Wer sich als reiner Softwarelieferant positioniert, wird die dadurch ermöglichten Innovationen fast immer dem Verdacht aussetzen, dass sie nur der Technik wegen geschehen. Viel überzeugender ist es, wenn die Anbieter die gemeinsam entwickelte Nutzeninnovation zu ihrer Mission machen. Dieser Wechsel des Selbstverständnisses hilft der Innovation an sich, und ganz nebenbei gewinnt das Argument «Swiss made» an Gewicht. Denn das Commitment zur Innovation des öffentlichen Sektors in der Schweiz ist bei Schweizer Softwarefirmen einfach glaubwürdiger als bei der internationalen Konkurrenz. Das alles gelänge natürlich viel leichter, wenn die Verwaltung nach skandinavischem Vorbild mehr von sich aus die Innovationszusammenarbeit suchen würde.
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