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Interview Thomas Flatt: "Auf welchen Mond wollen wir fliegen?"

mercredi 13.05.2015 Thomas Brenzikofer
Thomas Brenzikofer

Thomas Brenzikofer ist stellvertretender Geschäftsführer von i-net innovation networks und Member of the Board bei swiss made software.

Es gäbe gute Gründe für eine aktivere Wirtschaftspolitik des Staates in Sachen ICT. Doch dafür ist laut SwissICT-Präsident Thomas Flatt hierzulande der politische Konsens zu schwach.

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Thomas Flatt Thomas Flatt

Thomas Flatt, Präsident von Swiss-ICT sowie Vizepräsident von ICT-
Switzerland, ist als Berater und Investor tätig sowie Mitglied in verschiedenen Verwaltungsräten. Er begann seine berufliche Laufbahn als Softwareentwickler, Mediziner und Unternehmensberater bei der Boston Consulting Group. Flatt war Mitglied der Swisscom Gruppenleitung sowie der weltweiten Adecco Konzernleitung. Von 2007 bis 2013 war er CEO der Abraxas Informatik AG. Flatt doktorierte in medizinischen Computerwissenschaften und erwarb einen MBA an der INSEAD in Fontainebleau.

Thomas Brenzikofer: ICT gilt allgemein als Förderobjekt. Geht es indes um die Vergabe von Staatsaufträgen, kommen meist die globalen IT-Konzerne und nicht Swiss-made-Softwareunternehmen zum Handkuss. Ein Missstand?

Thomas Flatt: Offensichtlich bietet sich ICT als förderwürdiges Objekt an. Doch was und wie genau der Staat fördern soll, ist nicht immer klar. Natürlich wäre es eine ideale Situation, wenn der Staat als Auftraggeber zum einen seinen eigenen Bedarf befriedigen und zum anderen gleich einen innovativen Wirtschaftssektor fördern könnte. In der Praxis ist dies leider nicht so einfach.

Dank der Rüstungsindustrie als Treiber dominiert die USA heute den ICT-Sektor. Der kalte Krieg ist zwar vorbei, aber es gibt doch gewiss genügend Aufgaben im Zivilbereich, die dank ICT besser gelöst werden könnten?

Die Russen waren zuerst im All. Da haben sich die Amerikaner gesagt: Wir werden die Ersten auf dem Mond sein. Ob dies die Menschheit wirklich weitergebracht hat, ist zwar streitbar. Aber Tatsache ist, dass die Raumfahrt und die Rüstung das Fundament zur heutigen ICT-Industrie legten – und diese hat den Menschen definitiv weitergebracht. So gesehen stellt sich auch für die Schweiz die Frage: Auf welchen Mond wollen wir fliegen? Und: Schaffen wir das alleine oder brauchen wir dazu nicht Verbündete? Wenn man nun realistisch ist, sind wir diesbezüglich leider von einem politischen Konsens weit entfernt, und von Europa haben wir uns mehr und mehr verabschiedet.

Müsste Swiss-ICT als grösster Schweizer Branchenverband nicht mehr Lobbying betreiben?

Ich glaube, es ist sehr viel klüger, wenn sich der Staat darauf konzentriert, die Rahmenbedingungen so festzulegen, dass die Innovation von privater Seite angeschoben werden kann. Dass dies funktioniert, zeigt sich nicht zuletzt im E-Health-Bereich, wo Ärzte und Spitäler, aber auch die Krankenkassen auf Druck des Konsumenten mehr und mehr digitale Innovationen tätigen. Die Frage ist einfach: Wäre das alles mit dem Staat als direktem Auftraggeber oder mit Subventionen schneller zu haben? Ich bezweifle das.

Warum?

Der Staat als ICT-Auftraggeber arbeitet selten sehr effizient. Schief gelaufene Projekte wie «Insieme» zeigen, dass interne Probleme nicht mit IT gelöst werden können. Auch für unser fragmentiertes, föderalistisch organisiertes Gesundheitswesen ist nicht einfach mehr IT das Allheilmittel, sondern gute Governance. Diese kann dann sehr wohl durch innovative IT-Lösungen unterstützt werden.

Ist ICT-Innovation demnach eine Frage der Organisation und nicht der Technologie?

Natürlich steckt hinter fast jeder Innovationen eine technische Erfindung oder Entdeckung. Was dies anbelangt, sind wir in der Schweiz mit der ETH und der EPFL, aber auch dank der Universitäten und Fachhochschulen sehr innovativ. Wo wir uns verbessern müssen, ist bei der Vermarktung dieser technischen Erfindungen oder Entdeckungen. Diese findet entweder in grossen etablierten Unternehmen statt – und von diesen gibt es in unserem kleinen Land ja überdurchschnittlich viele. Oder aber technische Erfindungen und Entdeckungen werden von Start-ups zu Markte getragen. In diesem Bereich hat die Schweiz sicher grossen Nachholbedarf, gerade in der ICT. Aber auch hier soll der Staat aus meiner Sicht nur indirekt Einfluss nehmen, indem er die richtigen steuerlichen Rahmenbedingungen schafft – nicht aber als direkter Investor.

Staatliche Investitionen in Zukunftsbranchen sind doch auch als langfristige, strategische Investments zu betrachten. Venture Capital dagegen ist meist auf den schnellen Profit aus. Wäre da eine Korrektur über den Staat nicht legitim?

Klar, ein gutes Beispiel dafür ist Airbus. In dieses Projekt haben die Europäer Geld ohne Ende gepumpt und letztlich gelang es, das amerikanische Oligopol in der Luftfahrt zu verhindern. Ein solchen langen Schnauf hätte kein privater
Investor gehabt.

Edward Snowdens Enthüllungen haben uns doch auch eindrücklich vor Augen geführt, warum es eine europäische IT-Industrie braucht?

Selbstverständlich. Deshalb schockiert mich die antieuropäische Haltung der Schweiz. Bei dieser Diskussion geht es nicht um Schweiz versus Deutschland oder Österreich, sondern darum, dass die alte Welt Europa der ergrauten neuen Welt USA sowie vor allem der neuen Welt Asien etwas entgegensetzen kann. Isoliert steht die Schweiz hier auf verlorenem Posten.

In der ICT haben wir uns halt längst an die grossen Quasi-Monopolisten gewöhnt, die ja dann auch bei Staatsaufträgen immer wieder zum Einsatz kommen. Sollte der Staat nicht wenigsten hierbei die Lanze brechen?

Sobald eine Software in einem Unternehmen implementiert ist, lassen sich fast beliebig hohe Einstiegshürden aufbauen und so faktische Monopole generieren. Die Softwareindustrie funktioniert nun mal so.

Bei Marktversagen kann aber der Staat korrektiv eingreifen, oder nicht?

Ja, aber nicht als Auftraggeber, sondern als Regulator. Als Auftraggeber habe ich eine Problemstellung, für die ich eine Lösung und den bestmöglichen Lieferanten suche. Und da spielen eben auch Risikoüberlegungen rein. Will ich eine grosse Überbauung bauen, dann kann ich entweder das lokale Baugeschäft als GU beauftragen oder ein grosses nationales Bauunternehmen. Im ersten Fall werde ich wohl bald einmal zum einzigen Auftraggeber des Lieferanten. Im zweiten Fall bin ich einer von vielen. Da ist doch klar, dass ich mich für den Grossen entscheide. Warum soll das bei einem IT-Projekt anders sein?

Aber die Erfahrung zeigt, dass gerade durch die Vergabe an Grossunternehmen Millionen von Steuergeldern verbrannt wurden.

In den Fällen, die ich kenne, war nicht der Auftragnehmer das Problem, sondern der Auftraggeber. Zudem ist es meist viel günstiger, zwei, drei Gesetze anzupassen, als die Software für alle möglichen Einzelbedürfnisse und zig Ausnahmeregeln zu adaptieren. Aus Letzterem entstehen dann eben teure und komplexe Projekte mit einem hohen Ausfallrisiko.

Die Projekte, die Sie hier ansprechen, sind ja nicht wirkliche Innovationsprojekte. In Innovationsfeldern wie etwa der Gesundheitsversorgung bräuchte es vielleicht doch andere Ansätze?

Ich bin überzeugt, dass hier der Markt spielen wird. Das ist auch eine Frage der Generationen. Junge Ärzte werden ganz automatisch ICT verwenden wollen. Damit steigt auch der Druck auf Arbeitgeber und Anbieter. Aber das Grundproblem der Kostenexplosion im Gesundheitswesen hat nichts mit Technologie zu tun. Fakt ist, dass neunzig Prozent der Gesundheitskosten in den letzten beiden Lebensjahren anfallen. Fakt ist auch, dass unsere Bevölkerung immer älter wird. Da können wir noch so viele Patientendaten vollautomatisiert herumschieben – die Tatsache, dass ein Monat Aufenthalt in einem Pflegeheim ein Direktorensalär verschlingt, kriegen wir auch damit nicht vom Tisch. Nur fünf Prozent der Kosten entfallen auf die Administration. Wenn ich davon zwanzig Prozent einspare, ist das übers Ganze gesehen auch nur ein Prozent.

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