Christian Walter ist Geschäftsführer und Redaktionsleiter von swiss made software. Bis Ende 2010 arbeitete er als Fachjournalist für das ICT-Magazin Netzwoche, publizierte zuletzt aber auch im Swiss IT Magazin, der Computerworld sowie inside-it.
Während Mobile Payment viel mediale Aufmerksamkeit zuteil wird, findet das eigentliche Wachstum im Payment-Bereich online statt. Kreditkartenfirmen kämpfen hier mit Sicherheits- und Usability-Problemen. Netcetera will das mit Tellwa ändern.
Weltweit soll der E-Commerce 2014 um 22 Prozent gewachsen sein, in der Schweiz sind es etwa 10 Prozent. Bezahlt wird via Rechnungen, Lastschriftverfahren, Kredit- und Debitkarten, Paypal oder lokale Online-Lösungen. Vielerorts die Nase vorn hat nach wie vor die gute alte Rechnung. 90 Prozent sollen es in der Schweiz noch sein, meldet der Marktforscher Carpathia. Aber es bewegt sich etwas, zum Beispiel in Deutschland: 2015 nämlich hatte Paypal erstmals einen höheren Marktanteil. Auf Platz drei und vier folgten Lastschrift und Kreditkarte, wie aus einer Studie des Handelsforschungsinstituts EHI und der Hochschule Aschaffenburg hervorgeht.
Beunruhigen dürfte das vor allem die Kreditkartenindustrie, denn die Entwicklung hin zu Online-nativen Lösungen wird mittel- bis langfristig von vielen Experten vorhergesehen. Diese sind anderen Bezahlmöglichkeiten in zwei wesentlichen Bereichen eine Nasenlänge voraus: Bequemlichkeit und Sicherheit. Kreditkarten in dieselbe Liga katapultieren will Netcetera mit seiner neuen Lösung Tellwa. Der dazu angewandte Kniff lässt sich auf eine relativ simple Formel reduzieren: Die Abschaffung der Kreditkartennummer, und zwar in Kooperation mit den Kreditkartenunternehmen.
Benutzerfreundlichkeit und Sicherheit
Problem eins: Benutzerfreundlichkeit. Online gibt es zurzeit nichts Einfacheres als Paypal. Das Paypal-Symbol bringt den Kunden vom Warenkorb zum Bezahldienst. Kontoinhaber loggen sich mit Name und Passwort ein und bestätigen die Zahlung. Fertig. Tellwa pflegt den gleichen Ansatz. Liegen die gewünschten Artikel im Warenkorb, muss nur auf das entsprechende Checkout-Symbol geklickt werden. Der Kunde loggt sich anschliessend genau wie bei Paypal mit Name und Passwort ein. Anschliessend verifiziert er seine Identität zusätzlich via Smartphone – ähnlich M-TAN. Fertig. Man muss nicht einmal die Adresse eingeben, denn diese Daten liegen beim Card Issuer bereits vor. Dies hat ausserdem den Vorteil, dass die Daten nicht mit einem Drittanbieter wie eben Paypal geteilt werden müssen.
Für den ganzen Prozess hält sich Tellwa diskret im Hintergrund. Das für den Kunden wichtige Symbol ist der relevante Standard von Mastercard, Visa oder einer anderer Kreditkarte. Die digitale Brieftasche dient nur als Gefäss für elektronische Standards der Kreditkartenfirmen. Implementiert wird Tellwa auf Seite der Card Issuer und der Shops. Zurzeit wird nur Mastercards Masterpass-Standard unterstützt. Weitere sollen folgen. «Praktisch alle Kreditkartenfirmen entwickeln zurzeit ihre Masterpass-Variante», so Netcetera-CEO Andrej Vckovski. Tellwa ist hier anbieterneutral. Die Lösung ist auf Kompatibilität mit verschiedenen Standards ausgelegt. Ein Plus für Card Issuers, denen somit alle Möglichkeiten offenstehen.
Dass auch die Kreditkartenfirmen die Zeichen der Zeit erkannt haben und sich gegenseitig wohl nur wenig behindern werden, kann man daran ablesen, dass der Masterpass-Standard auch das Zahlen mit Visa oder American Express erlaubt.
Bei Tellwa geht es also klar um eine Vereinfachung der Karten-Zahlungen. Unter anderem, weil der Kunde zu keinem Zeitpunkt eine Kreditkartennummer eingeben muss. Dies wiederum ist zentral für das zweite Problem – Sicherheit. Dass Kreditkartennummern im Internet gehandelt werden wie Heringe auf dem Fischmarkt, ist kein Geheimnis. Bloss dass Heringe eben teurer und wirklich nur auf dem Fischmarkt zu haben sind.
Bye, bye Kreditkartennummer
Mit Tellwa fällt dieses Problem weg. Keine Nummer – keine Möglichkeit zum Diebstahl. Ausserdem identifiziert sich der Kunde parallel über einen zweiten Kanal à la Zweifaktorauthentifizierung. Um etwas auf Rechnung des Bestohlenen zu erwerben, müsste ein Betrüger also das Handy stehlen, Username und Passwort kennen sowie sehr schnell sein. Sobald der Bestohlene den Verlust bemerkt, kann er den Missbrauch gleich an zwei Stellen unterbinden: Bei seinem Telekommunikations- oder Kreditkartenunternehmen.
Den Kreditkarten könnte es so gelingen, wieder ein bisschen sexier zu werden. Aber reicht das im Duell mit den Emporkömmlingen aus dem Internet? Schliesslich gibt es noch ein drittes Problem: Die Wegelagerei der Kreditkartenunternehmen, die jedem Händler zwischen zwei und drei Prozent des Umsatzes für das Privileg der Zahlungsabwicklung abnehmen.
Glücklicherweise kommt hier der Regulator der Kreditkartenindustrie zu Hilfe und zwingt diese zur Innovation. Per Verordnung des EU-Parlaments werden in der EU die Gebühren für Kreditkarten und andere Bankkarten künftig gedeckelt. Die Neuregelung sieht vor, dass die in den einzelnen EU-Staaten sehr unterschiedlichen Entgelte für Kreditkarten auf 0,3 Prozent des Zahlungsbetrags begrenzt werden. Ähnliches geschieht in der Schweiz, wo die Eidgenössische Wettbewerbskommission (Weko) eine Senkung der Kreditkartengebühren per August 2015 bewirkte. Die sogenannte Interchange Fee fiel von 0,95 auf 0,7 Prozent. Per 1. April 2017 sollen es sogar 0,44 Prozent werden.
Gebühren deckeln
Dieser Umstand sorgt nicht nur beim Online-Handel für gleichlange Spiesse. Tellwa soll in Zukunft auch mobiles Bezahlen im Geschäft ermöglichen – genauso wie das viel diskutiere Apple Pay, Twint oder Paymit. In der Schweiz lockt vor allem Twint die Händler mit niedrigen Gebühren.
Tellwa ist eine dieser Lösungen, die es den Alteingesessenen erlaubt, nicht nur im Online-Bereich mit der neuen Generation von Bezahldiensten gleichzuziehen. Gleichzeitig eröffnet sie für die Zukunft eine Tür ins Mobile Payment. Zwar gab es hier mit der Veröffentlichung der Black-Friday-Zahlen 2015 etwas Ernüchterung: Gemäss einer Untersuchung von Infoscout erfolgten nur 2,7 Prozent der Einkäufe via Apple Pay – mittel- bis langfristig sind die Chance aber immer noch gut. Beim Umstieg auf Mobile Payment geht es schliesslich darum, menschliche Gewohnheiten an einem Ort zu ändern, wo sie schon heute zahlreiche Möglichkeiten haben. So etwas braucht einfach Zeit. Der langsame Wechsel von der Rechnung auf Lösungen wie das mittlerweile 18 Jahre alte Paypal ist ein klares Signal.
Doch auch ein komplettes Absterben jeglicher Mobile-Payment-Lösungen kann für Online-Payments durchaus problemlos sein. Denn auch in Geschäften ist ein Bezahlen via Online-Payment durchaus denkbar. «Ich glaube, dass langfristig die Unterschiede zwischen Mobile- und Online- Zahlen verschwinden werden», so Vckovski. Er könnte Recht haben, denn mittlerweile erfolgt ein Viertel aller Online-Zahlungen via Handy. Ob der Kunde einmal online oder mobile im Geschäft zahlt, könnte eine müssige Frage sein. Mit Tellwa halten sich Card Issuers aber alle Optionen offen. Dabei müssen sie nicht einmal ihre Kunden zum Download einer App motivieren. Sie schicken ihnen einfach einen Brief mit den neuen Login-Daten.
In der Schweiz ist der erste Schritt getan. Seit Anfang 2016 bieten die Anbieter Aduno und Swisscard AECS die Tellwa-Lösung unter dem Namen Swiss Wallet an. Swiss Wallet steht aber nicht nur für die Lösung, sondern ist gleichzeitig Name eines neuen Unternehmens, welches von Aduno, Swisscard und Netcetera gegründet wurde. Mit drei Millionen Karten halten die beteiligten Unternehmen rund 50 Prozent des Marktanteils in der Schweiz. Global sei das System von Mastercard ausserdem bereits in über 250’000 Online-Shops integriert. Später sollen auch weitere Bezahllösungen – wie etwa diejenige von Visa – an Swiss Wallet angebunden werden. Die Kundendaten sollen in der Schweiz verbleiben.
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