Live-Abgleich zwischen Baugeschehen und Bauplänen

Dienstag 22.02.2022 Christian Walter
Christian Walter

Christian Walter ist Geschäftsführer und Redaktionsleiter von swiss made software. Bis Ende 2010 arbeitete er als Fachjournalist für das ICT-Magazin Netzwoche, publizierte zuletzt aber auch im Swiss IT Magazin, der Computerworld sowie inside-it.

Ergons Augmented Reality-Lösung (AR) erlaubt via Smartphone oder Tablet 3D-Daten über Kamera-Live-Bilder zu legen. So wird direkt klar, ob Pläne und Realität übereinstimmen.

Ergon's augmented reality (AR) solution allows 3D data to be superimposed on live camera images via smartphone or tablet. This makes it immediately clear whether plans and reality match.

«Mit solchen Projekten tragen wir zur Basis der AR-Technologie bei, die in den nächsten Jahren immer prominenter werden wird. Das finde ich enorm spannend», so Daniel Neubig, Senior Software Engineer und Head of AR.

Für ihn ist dieser Moment vergleichbar mit der Einführung der ersten Smartphones: «Damals versuchte man bekannte Szenarien mit dem Smartphone zu replizieren, anstatt neue Wege zu gehen». Interessanterweise sind aktuell aber nicht AR-Headsets die Enabler, sondern die aktuelle Generation Smartphones oder Tablets, welche die Visualisierung der Daten in den Alltag tragen – dies auch, weil die Headsets noch immer teuer sind und viel Zeit zum Booten brauchen. Via Handy kann man der Realität hingegen bereits jetzt per Klick virtuelle Ebenen hinzufügen.

Die Basis dafür bildet das sogenannte Building Information Modeling (BIM). Dabei werden die Baupläne in 3D dargestellt, was bisher nur eine Lösung für das Büro bzw. für Architektinnen und Bauingenieure war, wogegen die Rechenpower für eine aktive Anwendung auf der Baustelle durch die Subunternehmer fehlte.

Ergon schlägt hier eine Brücke: Die AR-Daten müssen einfach vorher auf das mobile Gerät geladen werden – schon können die Baupläne live mit dem Baufortschritt verglichen werden, und zwar unabhängig von lokaler Konnektivität oder weiterer Hardware.

Tüftelei und Interesse

«Entscheidend war die Kombination von Tüftelei und frühem Interesse», so Neubig – oder anders formuliert: die Ergon-eigene Firmenkultur. «Dass wir heute AR mit Businessnutzen für die Kunden anbieten können, geht auf die Eigeninitiative einiger Mitarbeitenden zurück, gepaart mit individuellen Weiterbildungsbudgets, über die jeder frei verfügen kann», erklärt er weiter. Vor 4 Jahren begann man inhouse, die nötigen Kompetenzen aufzubauen. Einzelne Mitarbeitende machten den Anfang, informierten dann Kollegen und das Ganze verdichtete sich schliesslich zu einer Fokusgruppe. «Nach den ersten Prototypen war klar, dass wir mit dieser Technologie Mehrwert schaffen und aktiv auf Kunden zugehen können», so Neubig.

Mit der noch wenig digitalisierten Baubranche hatte man zuletzt einen Kunden mit komplexen Anforderungen, denn auf dem Bau sind die Umgebungsbedingungen rau und ständig im Wandel, was die Beantwortung zweier zentraler Fragen erschwert: Wo bin ich? In welche Richtung schaue ich? Das AR-Team musste unterschiedliche Ansätze vor Ort testen: «Wir testeten Sensoren an den Füssen oder auch Beacon-Netzwerke. Das war nicht ideal», so Neubig. Auch GPS und WLAN waren nicht zuverlässig genug. Die Lösung fand sich in einer Kombination aus Bauplan und «eckenbezogener» Mathematik. Raumecken sind immer der Schnittpunkt dreier Ebenen und lassen sich mathematisch präzise in Beziehung zur Position des Nutzers setzen. Der Nutzer markiert vorher einfach seine Position auf einer 2D-Karte, zeigt die Blickrichtung an und filmt die relevante Ecke. Schon kann der Abgleich beginnen.

Die nächste Generation des Internets

Ergon hat das Verfahren zum Patent angemeldet. Laut Neubig ist das für AR aber noch immer nur der Anfang: «Früher gab es Papierpreisschilder im Supermarkt, die mittlerweile digitalisiert sind. Mit AR können wir in Zukunft sehen, was für Inhaltsstoffe es gibt und vieles mehr.»

Doch das ist nur ein Element – denn die AR-basierte neue Ebene der Realität soll von den Fehlern der Web- und Mobile-Revolutionen lernen. «Wir diskutieren viel über Datensicherheit und Privatsphäre. Wer ist der Owner? Wie und von wem wird monetarisiert? Wir können jetzt daran mitarbeiten, was in Zukunft sein wird, denn es gibt noch keine gesetzlichen Grundlagen». Vorzudenken ist zentral, denn das Wesen dieser Daten ist anders: Bei einer App wird häufig nur eine Art von Daten abgefragt – ein Bild oder ein Restaurantbesuch. Bei AR-Brillen ist alles an einer Stelle: 7 Kameras filmen die Umgebung und einen selbst – sogar wo gerade hingeschaut wird, kann genau bestimmt werden; dazu kommen GPS und Interaktion. Die Datenaggregation findet auf einer einzigen Plattform statt. Folglich sind die Daten mächtiger und ein sorgsamer Umgang wichtiger denn je. So betont Neubig: «Wir bauen nicht nur Lösungen. Wir beteiligen uns am Dialog über die Möglichkeiten der nächsten Generation des Internets.»

Techtalk:

Wir arbeiten mit ARKit von Apple oder Microsofts Mixed Reality Toolkit. Meistens setzen wir aber auf Cross-Plattform-Lösungen wie AR-Foundation von Unity oder OpenXR von Khronos. Gerade Unity war hier von Vorteil, da uns das Game-Engine in Bezug auf Beleuchtung, Rendering, Physik oder 3D-Szenen viel abnimmt. Bei den AR-Headsets können wir ebenfalls mit allem arbeiten; das Tolle ist aber der Reifegrad bei Tablets und Smartphones – die tragen AR überall hin.

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