Christian Walter ist Geschäftsführer und Redaktionsleiter von swiss made software. Bis Ende 2010 arbeitete er als Fachjournalist für das ICT-Magazin Netzwoche, publizierte zuletzt aber auch im Swiss IT Magazin, der Computerworld sowie inside-it.
Das Start-up AI Medical will mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz die Auswertung von MRI-Bildern beschleunigen und verbessern.
Mehr und detailliertere Daten eröffnen häufig Innovationspotential. Leider erschliesst sich dieses selten in nur einem Schritt. Radiologen können davon ein Lied singen. Dank moderner MRI-Maschinen (Magnetic Resonance Imaging) lassen sich schärfere Bilder machen und die untersuchten Regionen ausserdem in feinere Schichten schneiden. Das ist wichtig, zum Beispiel für Multiple-Sklerose-Patienten (MS). Um deren Krankheitsverlauf korrekt beurteilen und Therapieanpassungen vornehmen zu können, muss die Anzahl Gehirn-Läsionen und deren Entwicklung beobachtet werden.
Bisher ist das Handarbeit. Der Radiologe muss jede Aufnahme anschauen, die Läsionen verorten und deren Entwicklung beurteilen. Darauf aufbauend schreibt er einen Befund. Dies mindestens einmal pro Jahr, da sich MS-Patienten ständig unter Beobachtung befinden. Durch die bereits erwähnte Möglichkeit, die beobachtete Region in feinere Schichten zu schneiden und so viel mehr Bilder zu produzieren, nahm der Aufwand im letzten Jahrzehnt stark zu.
MS-Läsionen automatisch verorten
Dies auch, da der Radiologe bei jeder neuen Runde quasi bei null anfangen und die Bilder einzeln von Hand vergleichen muss. Dabei gibt es oft kleine Unterschiede zwischen den Aufnahmen – schon einfach, weil der Patient anders im MRI-Gerät liegt. Deswegen lassen sich Aufnahmen nicht einfach aufeinanderlegen.
Das Start-up AI Medical will diesen Prozess drastisch vereinfachen, indem es weite Teile automatisiert. Die hauseigene Software Jazz erkennt bereits erkannte Läsionen automatisch wieder und stellt alte und neue Aufnahmen automatisch gegenüber. Der Radiologe muss also keine Zeit mehr mit Suchen verbringen. Gleichzeitig identifiziert die Software auch neue Läsionen. Der Radiologe kann diese dann systematisch durchgehen und beurteilen.
«Dank unserer Lösung konzentriert sich der Arzt auf seine Kernkompetenz», so Gründer Christian Federau. Federau ist selbst Neuroradiologe und Physiker. Vor zwei Jahren gründete er das Unternehmen und begann mit der Software-Entwicklung.
Zentrales Element ist die Verwendung von KI-Technologie. «Wir trainieren die Software anhand von Klinikdaten. Dabei gehen wir auf die einzelnen Institute ein», erklärt er. Damit bestätigt er einen Grundsatz moderner KI-Technologie – die Datenqualität ist entscheidend. In diesem Fall heisst das, dass sich ein Trainingsmodell von einer Klinik nicht unbedingt auf eine andere übertragen lässt.
Die einzelnen Spitäler haben verschiedene MRI-Geräte und diese sind nicht immer gleich eingestellt. Das gute an Jazz ist, dass sich das Modell mit neuen Daten relativ schnell trainieren lässt.
Zeitreihen und statistische Verfahren
Jazz erlaubt ausserdem die Anwendung statistischer Verfahren auf die Daten: Anstatt wie bisher einzelne Befunde zu vergleichen, erstellt die Software ganze Zeitreihen über die gesundheitliche Entwicklung eines Patienten. Die Möglichkeiten gehen aber über die individuelle Ebene hinaus. «Mit unserer Lösung könnte man regionale Vergleiche anstellen. Zum Beispiel, ob es Schweizer Regionen mit einem ruhigeren MS-Verlauf gibt. Man könnte so neue Erkenntnisse über die Krankheit gewinnen.»
Doch das ist noch nicht alles: Gemäss AI Medical findet der Radiologe mit der Software bis zu drei Mal mehr neue MS-Läsionen als bisherige Verfahren. «Unser Ziel war ursprünglich die Automatisierung. Sogar wir waren von den quantitativen Ergebnissen überrascht», berichtet Federau. Daraus ergibt sich nicht nur eine bessere Datenlage, sondern auch die Möglichkeit, die Therapie für einzelne Patienten besser anzupassen. Es ist also einer der seltenen Fälle, wo Quantität tatsächlich Qualität bedeutet.
CE-Hürde geschafft
Die Software ist Mac-basiert und lässt sich einfach auf dem Laptop eines Arztes installieren. Gleichzeitig kann sie ohne grösseren Aufwand in die Kliniksysteme integriert werden. Spitäler und Praxen erwerben eine Jahreslizenz, deren Preis sich nach der Grösse des Spitals richtet. Seit Anfang 2023 ist die Software CE-Zeichen gekennzeichnet und darf auf dem europäischen und Schweizer Markt angeboten werden. Der nächste grosse Schritt ist die Zertifizierung durch die amerikanische FDA, die zurzeit läuft.
AI Medical hat bereits erfolgreich an diversen Start-up-Programmen teilgenommen, wie zum Beispiel Venturelab und den Innosuisse Internationalization Camps in Israel und den USA. Das Unternehmen ist ausserdem Teil des Starthub Incubator Rockethub des ETH Entrepreneur Clubs.
Zuletzt erhielt das Start-up einen Innosuisse Grant zusammen mit der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW). Ziel ist die Entwicklung eines Portals, das die Radiologie-Berichte sowohl den Patienten als auch den behandelnden Ärzten einfach zugänglich machen soll.
Somit sollte das Leben nicht nur für Radiologen einfacher werden, sondern auch für Patienten und die behandelnden Ärzte.
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